Samstag, 24. Januar 2009
 
Venezuela: Auf der Suche nach Ideen PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Harald Neubert, Caracas   
Freitag, 3. August 2007

Hugo Chávez läßt die Militärs über über den Charakter des Sozialismus des 21.Jahrhunderts diskutieren. Er selbst möchte als »Christ und Bolivarianer« eine völlige neue Doktrin abseits des klassischen Marxismus-Leninismus etablieren.

Hugo Chávez will jeden Zweifel ausräumen. Zum wiederholten Mal machte der venezolanische Präsident am Wochenende die politischen Grenzen seines Reformprojektes zum Thema. Es gebe »keinen Plan, das Privateigentum zu verbieten«, sagte er vor Anwärtern für die Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) in Caracas.

Wenige Tage zuvor erst hatte der Staatschef, der mit dem kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro eng befreundet ist und linke Ikonen von Mao bis Trotzki zitiert, vom historischen Sozialismus Abstand genommen. Der Marxismus-Leninismus sei »ein Dogma der Vergangenheit«, so Chávez, der sich als »Christ und Bolivarianer« bezeichnete, um eine »eigene Doktrin« einzufordern. Worin die bestehen soll, darüber gehen die Meinungen in Venezuela derzeit weit auseinander. Auffällig ist dabei, daß der Präsident nach kritischen Kommentaren zum »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« und der Gründung einer neuen Einheitspartei gemäßigtere Töne anschlägt.

Öffentlich wurde die Debatte spätestens durch die Abschiedsrede des Verteidigungsministers und engen Weggefährten von Chávez, Raúl Isaías Baduel. Bei der Übergabe seines Amtes zog der Militär in der vorletzten Woche eine für viele überraschend selbstkritische Bilanz des bisher Erreichten. Vor allem aber sprach Baduel über die künftige Entwicklung. »Unser sozialistisches Modell muß tiefgreifend demokratisch sein«, mahnte er im Beisein der militärischen und politischen Führung des Landes. Eine Kopie des wirtschaftlichen und politischen Systems der Sowjetunion sei zum Scheitern verurteilt, so der Militär, der 1982 gemeinsam mit Hugo Chávez die »Revolutionäre Bolivarische Bewegung 200« gegründet hatte. Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts sei ein »völlig neues Konzept«.

Die Abschiedsrede Baduels machte klar, daß unterschiedliche Auffassungen nicht nur in bezug auf den angestrebten Sozialismus des 21. Jahrhunderts existierten, sondern auch im Zusammenhang mit dem vergangenen des 20. Jahrhunderts. Denn während Präsident Chávez die Rede Baduels als »erleuchtend« lobte und allen Militärs zu studieren empfahl, kam von General a. D. Alberto Müller Rojas eine harsche Replik. Der Exminister habe dazu aufgerufen, »konservative Positionen« einzunehmen, »die dem Geist der Revolution absolut entgegenstehen«, wetterte er. Besonders hart ging Müller Rojas mit Baduels Haltung zum Marxismus ins Gericht. Der Exminister hatte dazu aufgerufen, sich von der marxistischen Orthodoxie »loszusagen, weil sie die Gewaltenteilung lediglich als Instrument der bürgerlichen Herrschaft sieht«. Baduel verwechsele den Marxismus offenbar mit dem »Leninismus-Stalinismus, der in der Sowjetunion während des Kalten Krieges etabliert wurde«, konterte Müller Rojas, der seine militärischen Ämter vor wenigen Wochen zugunsten des Engagements in der PSUV niedergelegt hat. Auch Marinegeneral Zahin Quintana Castro hatte unlängst appelliert, »die bewaffneten Kräfte und den Rest des Landes gemäß der sozialistischen Doktrin zu ideologisieren«.

Von Kritikern der venezolanischen Regierung wird die Sozialismusdebatte innerhalb des chavistischen Lagers bereits als Spaltung gefeiert. So machte die US-Tageszeitung Miami Herald »Anzeichen von Spannungen innerhalb der Streitkräfte« aus. Die politische Debatte wird von dem Blatt völlig außen vor gelassen. Statt dessen interpretieren die Autoren die Diskussion als Lagerkampf zwischen traditionellen Militärs und Befürwortern eines »Volkskrieges«. Auch die Partei »Un Nuevo Tiempo« des Oppositionsführers Manuel Rosales sieht vor allem einen Beleg dafür, daß die Armee nicht »rot« sei, wie Chávez sie darstellt. Eine regionale Vertreterin der Gruppierung sah den Sozialisten Baduel gar schon auf der Seite der Chávez-Gegner. Die Streitkräfte seien offenbar »nicht einverstanden mit dem Sozialismus«, sagte Grecia Cabrises, die zwischen Baduel und der Opposition »viele Gemeinsamkeiten« auszumachen meint. Der Präsident selbst reagierte gelassener. Alle Militärs sollten sich ein solch kritisches Denken zu eigen machen, wie es Baduel gezeigt habe. »Denn eine Revolution braucht viele Ideen, um sich fortzuentwickeln«, so Chávez.

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